Der Wandel im Arbeitskontext – kommen Sie mit oder bleiben Sie stehen?

von | Okt 2, 2020 | #mehrGESPRÄCHE, Textbeitrag

„In Co-Creation verändern wir, wie Wert in Unternehmen entsteht.“ 

So steht es auf der Website des Weinheimer Unternehmens VORSPRUNGatwork. Worum es dem jungen und bunten Team rund um die Geschäftsführer Dr. Christian Kugelmeier und Andreas Lorch genau geht? Um Transformationsprozesse auf organisationaler und individueller Ebene. Und um kreative Vielfalt. Aber wo beginnt im Arbeitskontext heute Veränderung und wo hört Sinnhaftigkeit auf? Um Führungskräften und Mitarbeitern dabei zu helfen, grundlegende Probleme zu lösen und bestehende Denkweisen zu hinterfragen,  setzen die Coaches von VORSPRUNGatwork auf innere statt äußere Impulse und stellen die Menschen hinter den Mitarbeitern und Führungskräften in den Mittelpunkt ihrer Methode. 

Im Gespräch mit Jasper Fränznick: Mit inneren Impulsen bestehende Strukturprobleme in Unternehmen und Organisationen lösen – kann das funktionieren?  

Herr Fränznick, Ihr Unternehmen trägt den Namen VORSPRUNGatwork – was verschafft sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern einen Vorsprung im beruflichen Kontext? 

Jasper Fraenznick

Eine gute Frage, mit der wir uns auch am Markt bewegen und dabei schauen, was Unternehmen derzeit denken, was ihnen einen Vorsprung verschafft. Wir fragen auch die Leute um uns herum immer wieder: Was verschafft Euch einen Vorsprung at work? Wenn wir diese Frage beantworten, dann verwenden wir dafür ein Wort: Die Wandlungsfähigkeit. Denn mit dem immer weiter zunehmendem Wandel haben nur diejenigen langfristig einen Vorsprung, die auch wandlungsfähig sind. Auch der Begriff Transformation wird in diesem Zusammenhang ganz groß geschrieben. Letztendlich geht es aber nur im ersten Schritt um Transformation. Viel mehr braucht es die Transformation, um folglich wandlungsfähig zu werden. 

Um wandlungsfähig zu werden, braucht es ja oftmals erst einmal einen Strukturwandel – den Menschen muss der Raum gegeben werden, um sich zu verändern. Hat sich Eurer Meinung nach in den vergangenen fünf bis zehn Jahren etwas an der Einstellung vieler Menschen in Bezug auf ihre Arbeit etwas geändert – oder ist es nur der Markt, der mittlerweile etwas anderes verlangt?

Zum einen ist sehr viel gleich geblieben – zum anderen hat sich aber auch sehr viel verändert. Menschen wollen noch immer gestalten, sie wollen Verantwortung für die Dinge übernehmen, die sie als sinnvoll erachten. Die Frage ist: Was erachte ich persönlich als sinnvoll? Das ist ein Punkt, der sich verändert hat. Wenn wir uns mit Führungskräften Ü50 unterhalten, dann sind sie stark in der Expertensicht unterwegs. Sie erachten Dinge als sinnvoll, die durch ihre Kompetenz zum besten Ergebnis führen. Wenn wir uns aber inzwischen mit Berufseinsteigern unterhalten, dann erachten diese es als sinnvoll, einen Beitrag zu den Herausforderungen unserer Zeit, zum Beispiel dem Klimawandel, zu leisten. Es gibt eine Tendenz: die Forderung nach Mehr. Allerdings nicht bei allen. Da gibt es auch wieder zwei Lager. Die einen sagen: Veränderung muss sein, weil Veränderung heißt immer Chance, Veränderung heißt, dass Dinge gestaltbar sind. Die anderen sagen: Nein danke, ich will doch eigentlich nur Sicherheit. Es gibt also keine einfache Antwort auf diese Frage. Auf der einen Seite hat sich alles verändert, auf der anderen Seite existieren aber immer noch die gleichen Grundeinstellungen. 

Also ist es nicht unbedingt eine Altersfrage, ob Arbeitnehmer oder auch Arbeitgeber bereit für Veränderungen sind, sondern auch eine Typfrage? Glaubt Ihr, dass man den Mut zur Veränderung und Kompetenzen wie Kreativität oder Gründergeist einfach besitzt oder kann man so etwas erlernen? 

Arbeitsgruppe

Auch hier trifft wieder beides zu. Es gibt Menschen, die das Glück haben, gute Voraussetzungen genossen zu haben. Dazu zählt ein gutes Elternhaus, eine gute Schulausbildung, die Möglichkeit, im Ausland zu leben und Sprachen zu lernen. Für solche Menschen ist Veränderung, Wandel und Globalisierung seit ihrer Kindheit etwas positives. Durch Erlebnisse und Erfahrungen, die sie machen, bekommen sie suggeriert, dass sie Chancen annehmen können und sie gut sind, in dem, was sie tun. Und dann gibt es aber auch Menschen, die eine andere Ausgangsbasis haben, die zu anderen Typen geworden sind durch ihren Lebensstil und durch Systeme, in denen sie sich bewegen. Vielleicht haben sie mal mehr auf den Deckel bekommen, vielleicht haben sie emotionale Traumata erlitten. Und vielleicht haben sie immer dann, wenn sich etwas verändert hat, gedacht: Das Leben wird für mich gerade schlechter. Im Grunde glauben wir, dass jeder Mensch gestalten, sich ausdrücken und auch kreativ sein möchte. Manche Menschen haben aber dieses Erlebnis noch nie gehabt, dass sie eben auch so sein können und das die Welt sie dabei auch begrüßt und fördert. Punkte wie Qualifizierung und Befähigung gehören dazu, auch wenn es dafür vielleicht erst einmal den Schritt der Persönlichkeitsentwicklung braucht. Wir alle brauchen etwas in der Welt, was uns zeigt, dass wir durch Wandel nicht immer oder immer öfter auf der Verliererseite stehen. 

Dann hat ein Unternehmen ja letztendlich auch zwei Aufgaben, oder? Es geht darum, wirtschaftlich zu überleben – gleichzeitig ist es wichtig, Talente zu entwickeln, Menschen zu motivieren und ihren Gestaltungswillen zu fördern. 

Genau, es geht darum, Mensch-zu-Mensch-Beziehungen so zu gestalten, dass für andere Menschen ein Wert entsteht. Wir glauben aber nicht, dass es primär die Aufgabe von Unternehmen ist, Menschen zu motivieren, sich weiterzuentwickeln. Wir denken eher andersherum – wie kann dafür gesorgt werden, Mitarbeiter nicht zu demotivieren? Viele Menschen merken irgendwann, es fehlt ihnen etwas. Vielleicht ist es deshalb viel wichtiger, dass Unternehmen Räume aufmachen, in denen etwas stattfinden kann, was sonst eben nicht stattfindet. Wenn Unternehmen mit der Haltung handeln, sie müssen ihre Mitarbeiter weiterentwickeln und motivieren, dann heißt es oft: Ihr müsst lernen, Ihr müsst Euch weiterbilden. Das weckt jedoch keine Kreativität oder Gestaltungswillen. 

Braucht es denn dann hierzulande, wenn wir Eigenverantwortung und Kreativität fordern, viel verstärkter eine Arbeitskultur, in der es in Ordnung ist, Fehler zu machen, Dinge immer wieder neu zu entdecken oder sogar auch mal zu scheitern? 

Es gehört auf jeden Fall dazu, anzuerkennen, dass Fehler zu machen zu einem Gestaltungsprozess dazugehört. Wir müssen Fehler machen, um Veränderungen oder etwas Neues in die Welt zu bringen. Da setzen wir aber nicht bei der Kultur an, sondern beim Menschen an sich. Die meisten Menschen machen nicht gerne Fehler. Dabei ist es dann aber nicht so, dass eine Kultur Fehler nicht zulässt, sondern viel mehr, dass Menschen Fehler nicht zulassen und Angst davor haben, Fehler zu machen. Manchmal sind aber gerade die Menschen oder Teams, die am meisten Fehler machen, die besten. Sie kommunizieren am besten und verhalten sich am offensten. Das hat zur Folge, das Fehler gemeinsam und miteinander besprochen werden. Jeder Fehler wird dann sofort aufgedeckt und hinterfragt. So entsteht ein Lernprozess, aber auch ein Reifeprozess: Kann ich es mir erlauben, Fehler zu machen, oder verurteile ich mich immer dafür, Fehler zu machen? Brauchen wir denn immer einen Schuldigen, wenn Fehler gemacht werden oder nutzen wir den Fehler, um zu fragen: Woher kommt der Fehler, was können wir dagegen tun? Ein Fehler entsteht schließlich selten nur durch einen Einzigen, er ist immer öfter auch ein Gemeinschaftsprodukt. Also: Ja, es braucht Fehler. Und es braucht, so nennen wir es, Besprechbarkeit.

Wenn Ihr also in Unternehmen solche Defizite bemerkt, wie handhabt Ihr die Beratung dann? Wie sind Eure Ansätze?

Wir steigen nicht über die Qualifizierung ein, sondern über das Machen. Wir sagen unseren Kunden, dass sie doch schon Probleme lösen und dass sie auch schon gestaltungsbereite Mitarbeiter haben. Jedes Unternehmen hat Probleme, jedes Unternehmen hat Mitarbeiter. Damit hat es eigentlich schon alles an Board, was es braucht, um den nächsten Schritt zu gehen. Wir fragen also: Was ist Euer größter Schmerz? Das kann der Entwicklungsprozess, das Geschäftsmodell oder das Gehaltssystem sein, ganz egal. Und dann stellt sich die Geschäftsführung vor die Mitarbeiter und sagt: Wir haben dieses oder jenes Problem identifiziert, wir wissen selbst nicht, wie wir es lösen. Wir brauchen jetzt ein Team, dass sich darum kümmert, das Problem zu lösen. Ihr habt so und so viele Monate dafür Zeit, erhaltet dafür 30 % Eurer Kapazität und zwei Coaches an die Seite gestellt, die Euch in einem anderen Arbeitsprozess begleiten, um anders zu arbeiten, als wir es normalerweise tun. Wir schaffen dann also mit den Mitarbeitern des Unternehmens einen gemeinsamen Raum, in dem sie Dinge ansprechen, in dem Sicherheit, Besprechbarkeit da ist. Wir haben dann meist einen dreitägigen Kick off-Workshop und dann ein bis zwei Tage Arbeitswoskhops, die alle ein bis zwei Wochen stattfinden. Das Team ist dann meist 15 bis 16 Tage zusammen über einen Zeitrum von einigen Monaten. Meistens sind das 10 bis 12 Mitarbeiter aus verschiedenen Hierarchiestufen und unterschiedlichen Bereichen. So werden die, die vom Problem betroffen sind, direkt beteiligt. Über diesen Prozess entsteht also ein Team, in dem eine ganz andere Kultur herrscht, als im restlichen Unternehmen. Und die Menschen, die ihre Ideen, die sie mit Kollegen zusammen entwickelt haben, dann präsentieren und vorstellen, die strahlen etwas anderes aus. Die strahlen aus: Hier geht es um die Sache, hier geht es nur um Wirksamkeit. Das wirft oftmals im ganzen Unternehmen viele Fragen auf und sorgt auch mal für Irritation. Aber wir denken, dass man Unternehmen und Menschen eben nur durch Irritation verändern kann. 

Werfen wir einen Blick in die Zukunft – wie wird der Arbeitsalltag in einem typisch deutsche Mittelstandsunternehmen im Jahr 2030 aussehen? 

Dass ist das Schöne an unserer Zeit – es werden Dinge möglich sein, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können. Das Interessante an Transformation und Weiterentwicklung ist auch, dass alles, was wir jetzt sagen, in fünf Jahren schon wieder ganz anders aussehen kann. Deshalb: Wir wissen es nicht. Viel interessanter ist es doch, uns diese Frage jetzt zu stellen und davon auszugehen, dass es ganz anders sein wird, als heute, und dass wir die Möglichkeit haben, unsere Zukunft mitzugestalten. 

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